Steigende Aktienkurse zaubern jedem Anleger ein Lächeln ins Gesicht. Aber "die Börse ist keine Einbahnstraße", wie André Kostolany, der Altmeister unter den Finanz- und Börsenexperten, treffend formulierte.
Die Kurse gehen hin und wieder auch nach unten oder rauschen sogar mal richtig kräftig abwärts. Börsencrash ist das Horrorwort, das viele Menschen davon abhält, überhaupt an der Börse zu investieren. Ein plötzlicher Kursrutsch von 30, 40 oder sogar 60 % ist tatsächlich schmerzhaft und versetzt jeden Anleger in Panik.
Doch wir möchten an dieser Stelle zeigen, dass ein Börsencrash unter bestimmten Voraussetzungen langfristig sogar positive Auswirkungen auf ihr Depot haben wird. Haben Sie noch einen längeren Anlagehorizont vor sich, dann werden Sie sich nach diesem Artikel vielleicht sogar einen Börsencrash herbeiwünschen.
Wer kann von einem Börsencrash profitieren?
Ein Börsencrash führt nicht nur zu dramatischen Buchverlusten im Aktiendepot, sondern sorgt auch für interessante Einstiegsoptionen. Diese günstigen Einstiegskurse sind selbstverständlich interessant für Menschen, die noch überhaupt nicht investiert sind. Doch auch Investoren, die bereits Aktien, ETFs oder Kryptowährungen gekauft haben, profitieren von einem dramatischen Kurseinbruch.
Problematisch wird es nur, wenn Sie kurzfristig Geld entnehmen müssen. Der amerikanische Finanzmarktforscher William Bernstein sagte einmal, dass Menschen, die um die 20 sind und gerade mit dem Sparen begonnen haben, auf die Knie fallen und für einen Crash am Aktienmarkt beten sollten.
Doch auch ältere Investoren können von einem Crash profitieren, wenn die Entnahmephase noch nicht direkt vor der Tür steht.
Möchten Sie also noch regelmäßig über einen längeren Zeitraum investieren und können mit der Entnahme noch warten, bis sich der Markt wieder ausreichend erholt hat, sorgt ein Crash am Aktienmarkt auch in Ihrem Portfolio für einen Zuwachs.
Was heißt das konkret?
Das ist alles sehr theoretisch. Daher zeigen wir jetzt ein Beispielszenario. Wir gehen hier von einer jährlichen Durchschnittrendite von 8 % aus. Dabei haben wir uns an der Entwicklung des MSCI-World-Index in den Jahren von 1986 bis 2000 orientiert. Bei allen Berechnungen sind Faktoren wie Steuern, Gebühren und Inflation nicht berücksichtigt, damit die Beispiele nicht zu kompliziert werden.
Unser Beispielinvestor spart dabei über einen Zeitraum von 35 Jahren an. Er beginnt mit einer Summe von 1.000 € im Jahr, die jedes Jahr um 4 % erhöht wird. Damit investiert er insgesamt rund 74.000 €. Verlaufen diese 35 Jahre crashfrei, liegt der Depotwert bei der angenommen Durchschnittsrendite bei 293.000 €. Unser Beispielinvestor verbucht damit einen Zuwachs von unvorstellbaren 219.000 Euro. Der Zinseszins macht es möglich. Doch es geht tatsächlich noch besser.
Denn an dieser Stelle kommt der Börsencrash ins Spiel. In unserem Crashszenario beträgt der Kursrückgang ganze 60 % – also ein echtes Worst-Case-Szenario für jedes Depot. Die anschließende Erholungsphase, das ist der Zeitraum bis die Vorcrash-Kurse wieder erreicht werden) dauert 4 Jahre. Eine so schnelle Erholung wie nach dem Corona-Crash im Frühjahr 2020 ist eher ungewöhnlich. In der folgenden Tabelle sehen Sie, wie sich der Anlagebetrag entwickeln könnte, wenn der Crash im 1., 10., 20. oder 31. Jahr des Anlagezeitraums von 35 Jahren passieren würde.
(Quelle: Gerd Kommer Invest GmbH)
Je eher der Börsencrash stattfindet, desto mehr profitiert ein Anleger von diesem Ereignis und den damit verbundenen Kursrückgängen. In Szenario A fand der Crash im ersten Jahr des Anlagezeitraums statt. In diesem Szenario erscheint es fast logisch, dass ein Crash keinen negativen Einfluss auf das Depot hat. Denn zu diesem Zeitpunkt hat der Investor noch nicht viel Geld eingezahlt, sodass von dem Crash nur wenig Kapital betroffen war. Umso erstaunlicher jedoch, ist der enorme positive Effekt. In diesem Szenario steht man ganze 18% besser da, als wenn es niemals einen Crash gegeben hätte.
Die große Überraschung ist allerdings, dass auch ein Börsencrash gegen Ende des Anlagezeitraums noch positive Auswirkungen auf das Depot haben kann. Selbst im vierten Szenario hat ein Crash noch einen positiven Effekt. Und zwar ganze 6% (in diesem Beispiel 16.000€)!
Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Man plant 35 Jahre zu sparen und im 31. Jahr verlieren Sie 60% des Portfolios. Und dennoch wird Ihr Depot nach den 25 Jahren besser dastehen, als wenn es den Crash nicht gegeben hätte.
Denn solange der Anlagezeitraum noch größer als der Erholungszeitraum ist, liegt die Gesamtrendite noch über einem „Kein-Crash-Szenario“.
Doch für uns gibt es noch einen weiteren Aha-Moment. Denn nach einem Crash wünscht sich jeder Anleger eigentlich eine ganz schnelle Erholung. Mit einer weiteren Beispielrechnung zeigen wir, dass ein längerer Erholungszeitraum aber deutlich mehr Rendite einspielen kann. Wir arbeiten mit den gleichen Angaben wie im letzten Beispiel und verlängern den Erholungszeitraum von 4 auf 7 Jahre. Dann sieht die Tabelle folgendermaßen aus:
(Quelle: Gerd Kommer Invest GmbH)
Bestimmt wundern Sie sich beim Vergleichen der beiden Tabellen im ersten Moment. Erinnern wir uns aber an den Vorteil der günstigen Einstiegskurse, dann ist es sehr plausibel, dass bei einer längeren Erholungsphase auch die langfristige Rendite steigt. Eine Durchschnittsrendite von 8 % p.a. führt also zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn man Crash-Szenarien berücksichtigt. Ist der restliche Anlagezeitraum länger als die Erholungsphase, ist ein Crash möglicherweise ein echter Rendite-Booster für ihr Portfolio.
Wichtig ist es für einen Anleger, auch in einer Crashsituation die Nerven zu behalten und Panikverkäufe zu vermeiden. Das gilt zumindest bei einem gut aufgestellten und breit gestreuten Depot. Haben Sie als passiver Investor bisher auf ein globales Portfolio und mit einer Buy-and-Hold-Strategie auf Value-Aktien gesetzt, steht die Zeit auf Ihrer Seite. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Depot in absehbarer Zeit über dem Vor-Crash-Niveau liegen wird, ist groß. In der Zwischenzeit stocken Sie ihr Portfolio zu günstigen Kursen weiter auf. Je länger die Erholungsphase dauert, desto mehr profitieren Sie. Damit der Plan aufgeht, ist es wichtig, dass die regelmäßigen Sparleistungen weitergeführt werden, auch wenn sich auf dem Papier zunächst die Verluste häufen und der Blick ins Depot Bauchschmerzen verursacht.
Je niedriger die Kurse sind, desto mehr Anteile an den Unternehmen und ETFs bekommen Sie für Ihr Geld. Steigen die Kurse wieder, profitieren Sie daher überproportional von dieser Entwicklung.
Kritisch ist ein Börsencrash allerdings, wenn Sie im Vorfeld auf hochspekulative Aktien und Werte ohne Substanz gesetzt haben oder Sie sich bereits in der Entnahmephase befinden oder sehr kurz davorstehen. Hat sich der Wert Ihres Depots zu diesem Zeitpunkt beispielsweise gerade halbiert, hat die Summe, die Sie entnehmen einen viel größeren prozentualen Anteil am Gesamtwert als geplant.
Liegt Ihr Anlagehorizont allerdings über der angenommen Erholungsphase, dann können Sie sich entspannt zurücklehnen – das hat zumindest die Vergangenheit gezeigt. Die immer wiederkehrenden Ankündigungen der selbsternannten Crash-Propheten sehen Sie jetzt vielleicht mit anderen Augen. Schlagzeilen wie: „Der nächste Börsencrash steht vor der Tür“, entlocken Ihnen möglicherweise sogar ein Lächeln und wecken ein bisschen Vorfreude.